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Wasserball im Blickpunkt der Sporthistorie

Die Geschichte des Sports führt in Deutschland anders als in der angelsächsischen Welt immer noch ein akademisches Schattendasein, dabei produziert grade diese nicht selten Beiträge, die auch ein breiteres Publikum ansprechen können. Jüngstes positives Beispiel dieser Art ist die erst Anfang Dezember in Buchform erschienene Vortragssammlung „,Als der Sport nach Hannover kam‘: Geschichte und Rezeption eines Kulturtransfers zwischen England und Norddeutschland vom 18. bis zum 20. Jahrhundert“, die in lesenswerter Form den Einzug des modernen „englischen“ Sports vor 1933 als Teil eines weitreichenden Kulturtransfers in das damals vielfach noch vom Turnwesen beherrschte Deutschland thematisiert.

Der 224-seitige Tagungsband beschert zugleich auch eine der seltenen wissenschaftlichen Publikationen zur Geschichte des in den 1880er und 1890er Jahren ebenfalls auf den britischen Inseln erfundenen Wasserballspieles und dessen Einführung in Deutschland. Der Tagungsbeitrag unter dem Titel „,Aquatic football’, ,aquatic polo’, ,water-polo’… Grundzüge der Geschichte des Wasserballs in Großbritannien und Hannover (1870 bis 1933)“ (S. 107 – 135) wurde von Fachjournalist Wolfgang Philipps verfasst, der nach Quellenstudien (unter anderem auch in der DSV-Geschäftsstelle) mit scharfem Blick Grundzüge der frühen Entwicklung der Sportart in beiden Ländern präsentiert. Die Abhandlung beschert nicht nur mehrfach neue Erkenntnisse, sondern ruft zugleich auch ins Gedächtnis, dass es bis heute keine deutschsprachiges Werk zur Geschichte der ältesten olympischen Mannschaftssportart gibt.

Trotz mehrfachen Fundglücks bei den dargebotenen Quellen (unter anderem die berühmte Abbildung mit den auf Holzfässern sitzenden Spielern) geht es dem Verfasser weniger um die Jagd nach vereinzelten Geschehnissen und Spieldaten als vielmehr um längerfristige Entwicklungslinien. So wurde das Wasserballspiel zwar bereits im Jahre 1894 nach einem Anschauungsunterricht in London durch die Schwimmer Fritz Kniese (Berlin) und Oskar Pollak (Hamburg) nach Deutschland importiert, erfuhr hier jedoch erst ab 1907 eine größere Verbreitung, als sich die Rahmenbedingungen für den Schwimmsport vielerorts verbessert hatten und insbesondere auch eine Adaption „englischer“ Sportauffassungen eingesetzt hatte.

Dass der Deutsche Schwimm-Verband vor 1933 nicht der einzige nationale Fachverband und „Anbieter“ für das Wasserballspiel (und den Schwimmsport insgesamt) war, kann Philipps an dem gewählten Fallbeispiel Hannover besonders gut verdeutlichen: Aus der damaligen Provinzhauptstadt kamen in der Weimarer Republik nicht nur die Wasserfreunde Hannover als viermaliger deutscher Meister (im DSV), sondern mit Freier Wassersport Hannover-Linden als Bundessieger 1932 im damaligen Arbeiter-Turn- und Sportbund (ATSB) sowie dem TK Hannover als zweimaligem Meister der Deutschen Turnerschaft (DT) weitere nationale Titelträger aus den sportlichen Parallelwelten jener Tage.

Herausgegeben wurde der im renommierten LIT-Verlag erschienene Band durch das Niedersächsische Institut für Sportgeschichte (www.nish.de) in Hannover, das nicht nur publizistisch tätig ist, sondern auch verschiedene Sport- und Verbandsarchive betreut. In den insgesamt neun Beiträgen von Sporthistorikern und Publizisten bieten die Autoren dabei nicht nur akademische Fußnoten, sondern mit gleich 81 mehrheitlich zeitgenössischen Abbildungen auch zahlreiche optische Blickfänge. Wasserball-Anhänger können neues Wissen mitnehmen und sollten mehr denn je auf ein (längst überfälliges) umfassendes Werk zur Geschichte des Spieles hoffen.

Christian Becker/Cornelia Regin/Anton Weise (Hrsg.): „Als der Sport nach Hannover kam“. Geschichte und Rezeption eines Kulturtransfers zwischen England und Norddeutschland vom 18. bis zum 20. Jahrhundert (Schriftenreihe des Niedersächsischen Instituts für Sportgeschichte e. V. – Wissenschaftliche Reihe, Bd. 24), Münster u. a. 2015, broschiert, 224 S., ISBN 978-3-643-13152-2, 34,90 EUR

Christian Ciemalla