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Weihnachten an der Front – ein Schwimmerbrief aus dem Ersten Weltkrieg

Scherl Bilderdienst: I. Weltkrieg 1914-1918 Aus den Mobilmachungstagen in Berlin. Die erste Kriegslöhnung

Die Zeit des Jahresendes und -wechsels ist auch eine Gelegenheit für die anderweitig immer wieder mal vermisste Demut: Mit dem Anbruch der diesjährigen Feiertage ist der Autor zufällig auf einen Feldpostbrief über das Weihnachtsfest des Jahres 1914 gestoßen, welches im Ersten Weltkrieg (1914 – 1918) auch im Angesicht der nahen Front begangen worden ist. Verfasser der Zeilen war der amtierende DSV-Schwimmwart Johannes Gedrat (1883 – 1915), in Friedenszeiten aktiver Schwimmer und Wasserballspieler bei einem der beiden Vorläufer des Hannoverschen Schwimm-Vereins von 1892.

Die beschriebenen Geschehnisse spielten sich unweit des in der Publizistik auch als „Kleiner Friede im großen Krieg“ bekanntgewordenen „Weihnachtsfriedens“ von 1914 ab, welcher allerdings nur zwischen deutschen und britischen Soldaten stattfand. Die nachfolgend wiedergegebenen Zeilen wurden erst ein halbes Jahr später im damaligen DSV-Amtsblatt posthum veröffentlicht: Offizierstellvertreter Gedrat fiel am 9. Mai 1915 in Belgien bei einem Sturmangriff an der Spitze seines Zuges und war damit einer von etwas mehr als zwei Millionen Deutschen, die während des Krieges getötet wurden.

Houthoulst [= Houthulst/Belgien], am 1. Januar 1915.
Vielen Dank für Deine I. Zeilen und Deine freundliche Sendung. Den ersten Bogen will ich nun auch dazu benutzen, D i r einen Brief zu schreiben. Nach einigen Ruhetagen Mitte Dezember sind wir jetzt wieder in dem früheren Gefechtsfelde bei Bixschoote. Ich könnte Dir viele, sehr viele Erlebnisse der letzten Zeit erzählen. Heute will ich nur eins herausgreifen: Weinachten im Felde. Uns fiel gerade zum Heiligabend die Aufgabe zu, in Feuerstellung zu gehen. Wir zogen deshalb um 6 Uhr aus, um in unsere Schützengräben zu gehen. […] Wir waren auf alles gefaßt, nahmen mehr Patronen als sonst mit und hielten treue Wacht. In unserem Gefechtsabschnitt blieb es dann aber verhältnismäßig ruhig, bei uns liegen noch die toten Franzosen von dem Angriff einige Tage zuvor, wahrscheinlich war dabei den bei uns gegenüberliegenden Franzosen die Lust ausgegangen, in der Christnacht den mißglückten Durchbruchsversuch zu wiederholen. Wir haben in den Weihnachtstagen einige Gefangene gemacht und einige verwundete Franzosen aufgelesen und verbunden, die durchweg alle nach meiner festen Ueberzeugung – gelinde ausgedrückt – nicht ihr Möglichstes getan haben, um sich vor der deutschen Gefangenschaft zu retten. Das beste Weihnachtsgeschenk war für uns, daß unsere Kompanie in den Weihnachtstagen keinen Toten und keinen Verwundeten gehabt hat; die nicht weit von uns liegende 9. Kompanie hatte z. B. 10 Tote und 11 Verwundete.
Über das Ausrücken selbst wollte sich Dir noch einiges erzählen. Der Auszug aus H[outhoulst] wird mir unvergeßlich sein. Die Artilleristen konnten zurückbleiben und zündeten ihre Christbäume an, deren Lichtstrahlen trauliche Erinnerungen ins uns weckten. Am Ausgang des Dorfen hatten einige Artilleristen ihren kleinen Christbaum schnell herausgeholt und auf die Straße gestellt, um uns beim Vorbeimarsch zu erfreuen. Es war herrlich! Ein junger Kriegsfreiwilliger trat heran – ich marschierte ganz vorn – und rief uns mit seiner hellen Stimme entgegen: „Ich wünsche ein gesegnetes, freudiges Weihnachtsfest!“ Diesen Worten merkte man an, wie sehr sie von Herzen kamen, und ich werde ihren Klang nie vergessen. Eine Stunde später gabs ein längeres „Halt“ an der Landstraße. Hier und da summte jemand eines der schönen Weihnachtslieder, das Summen wuchs heran zum Singen[,] und bald erscholl aus ungezählten Kehlen durch die mond- und sternenhelle Nacht: O du fröhliche – Stille Nacht. Andächtig falteten sich viele Hände zum Gebet. Nachdem die Weihnachtslieder verklungen waren, stimmte ich an: Wir treten zum Beten –. Von Herz zu Herz, von Mund zu Mund ging das niederländische Dankgebet; wir sich sicher: Gott läßt von den Schlechten nicht die Guten knechten. Einen Augenblick blieben wir noch in andächtiger Stille, dann ertönten die Kommandos: Zug Gedrat muß in M. [Merkem?] zurückbleiben, um Leuchtpistolen mitzunehmen. Kompanie – Marsch! Das war meine Weihnachtsandacht.
Wir sind ja nun seit heute schon im Jahre 1915 und wollen als Bestes vom neuen Jahre erhoffen, daß es uns nicht nur den F r i e d e n, sondern d e n Frieden bringt, d. h. den Frieden, den wir haben w o l l e n.
In alter, treuer Freundschaft
Dein Johann.

Quelle: Der deutsche Schwimmer 22/1915, S. 172

Von Wolfgang Philipps